home
fr | de

Orioxy / album: Tales

image © Thomas Perrodin
 
Tales
album 2010

la traduction française n'est malheureusement pas disponible

Und wieder neue Signale aus der Schweiz: Neben drei Eidgenossen/innen ist noch eine Dame aus Israel Mitglied von Orioxy, denn dort wurde Sängerin Yael Miller geboren, die allerdings seit 2006 in Genf ansässig ist. Auffällig ist die Besetzung der Band, die eigentlich so gar nicht jazztypisch ist. Gleich beim ersten Titel wird klar, es ist die Stimme, die den Hörer ganz stark 'fordern' kann! Nicht nur Gesang, auch Schreie sind es, die auf das Gehör prallen und das wohl in hebräischer Sprache. 

Schlagzeug und Bass setzen klare Akzente und bilden eine feste Grundlage. Der gelegentlich gestrichen eingesetzte Bass erzeugt weitere Melodik und mit einem verzögert erscheinenden Groove treibt "Lost Feet" dahin. Soloinstrument ist hier die Stimme, die Harfe trägt eher zur Gesamtgestaltung bei. Viele rockende Elemente werden eingesetzt und bilden einen Gegenpart zur oft frei schwebenden, frechen Stimme der Sängerin, die ab und zu Wortfragmente in den Raum schleudert. Weitere Einflüsse sind in Form arabischer Klänge und französischer Chanson-Romantik festzustellen. 
Bei "Silent Memory" wird anfangs eine Spieluhr aufgezogen, die sogleich losspielt, um dann vom ineinander verflochtenen, wortlosen Gesang der beiden Damen des Quartetts abgelöst zu werden. Schon fast kindlich und der erneut aufgezogenen Spieluhr entsprechend, scheint hier ein Sprung in die Kindheit vollzogen worden zu sein und der Drummer raschelt und trommelt ein wenig mit, auch die Harfe spielt dazu. Vielleicht werden mit "Silent Memory" tatsächlich Kindheitserinnerungen aufgearbeitet? "The Child", das nächste Stück, geht dem Titel gemäß wohl wieder in diese Richtung. Bass und Harfe eröffnen, Gesang und einige wenige perkussive Elemente stoßen hinzu - jazzig, auf kammermusikalische Art wird der Song gestaltet, zart und getupft mit gelegentlich leicht sanften Ausbrüchen. Der Gesang ist nun auf Englisch und insofern auch etwas zugänglicher. Neben der gefällig ruhigen Harmonie dieses Stückes, die durch den recht verhaltenen und stillen Einsatz der Harfe geprägt wird, gibt es jedoch auch Dissonanzen im Laufe der gesamten Platte. In diesen Momenten meine ich ansatzweise, die Atmosphäre der Musik einer 
Laurie Anderson zu spüren, was gehauchte Stimmeinsätze vermitteln. 

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass das Gebotene nicht zum schnellen Verbrauch und Konsum geeignet ist. Vielmehr kommt es sperrig daher und verlangt 'hörtechnisch' schon einige Konzentration ab. Aber man entdeckt ständig neue Nuancen, die eine möglicherweise spontane Abneigung beim erstmaligen Hören in genau das Gegenteil verkehren kann - nämlich, dass man geneigt ist, die Wiederholungstaste zu betätigen! 

Gerade der letzte Song, "Tell Me Lies", macht es einem relativ leicht, obwohl durch das ungewöhnliche Arrangement ebenfalls nicht unbedingt sofort Tür und Tor geöffnet wird. Doch mittlerweile hat man sich so daran gewöhnt, dass die Neugierde geweckt wurde. Wenn dann noch das gestrichene Cello zusätzliche Akzente setzt, bemerke ich, dass hier wieder einmal etwas ganz Besonderes geschaffen wurde, das die Jazz-Szene bereichert und beweist, wie viel Spielraum diese noch hergibt!


Wolfgang Giese
rocktimes.de / 28 nov. 2011

www.manusound.net